Psychoanalytische Spieltheorie
Kritische Texte zur Entwicklungspsychologie, aufgrund neuester Forschungsergebnisse (erschienen in: „Gemeinschaft und Menschenrecht“, W.A. Siebel 1995, S. 287 ff, ISBN: 3-89379-124-8)
„Freuds Auffassung, dass das Spannungs-Abfuhr-Prinzip, das Lust-Unlust-Prinzip, das fundierende Moment der frühen Entwicklungsvorgänge darstellt, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Entwicklungspsychologen betonen heute, dass das Neugeborene mit einer fundamentalen Aktivität ausgestattet ist, die in sich die Tendenz hat, den Organismus zu wachsender psychologischer Komplexität anzuregen. Dafür kommt der Neuankömmling mit einem beträchtlichen Repertoire von Verhaltensmöglichkeiten zur Welt, die von der Evolution bereitgestellt wurden, und die ihn für interaktive Beziehungen mit der pflegenden Umwelt bereit machen. Statt die Entwicklung unter dem Aspekt des Entropie-Modells zu sehen, wie es das Trieb-Abfuhr-Modell tat, arbeitet die heutige Entwicklungsbiologie mit der Vorstellung, dass die schon neurophysiologisch gesicherte Komplexität, bei einer Zahl von 10 Milliarden Neuronen mit hunderten von Querverbindungen, für Unbestimmtheit, Ungewissheit und beschränkte Vorhersagbarkeit von Verhaltensweisen sorgt. Ein solcher Grad von Komplexität bürgt für Individualität und sichert zugleich Selbstbestimmung. Komplexität wächst im Laufe der Entwicklung, und dem Menschenwesen wird zugesprochen, dass es sich selbst in die es umgebende unbelebte und belebte Welt hinein sozialisiert ... Eine gleiche Zurückweisung kann jenen Vorstellungen entgegengebracht werden, die das Kleinkind als Wesen betrachten, das als psychologisches Nichts auf die Welt kommt und durch die elterlichen Sozialisationspraktiken erst geformt wird. Vielmehr erkennen wir, dass das Verhalten eines Babys von Anfang an Ordnung und Organisation zeigt und dass das brodelnde Durcheinander... ein Ausfluss unseres eigenen Denkens und unserer Aufzeichnungstechniken war, aber nicht im Kleinkinde selbst zu suchen ist. (Schaffer 1982, S. 50) Die Entdeckung dieser Komplexität verdanken wir der detaillierten Untersuchung einzelner Verhaltensbereiche, die jeder für sich je eigene Komplexität aufweisen“ (Horst Kächele „Entwicklung und Beziehung in neuem Lichte“ in: „Praxis der Psychotherapie und Psychosomatik“, Bd. 34, Heft 5, September 1989, S. 243).
„Das Neugeborene beginnt sein Leben nicht ... als passives Bündel von Reflexen, sondern ist bereits auf spezifische Weise fähig, seine Umwelt differenziert wahrzunehmen und seine Erfahrungen zu einfachen Vorstellungen zu integrieren“ (Metchild Papusek „Frühe Phasen der Eltern-Kind-Beziehungen“ in: „Praxis der Psychotherapie und Psychosomatik“Bd. 34, Heft 3, Mai 1989).
Als Alternative baut die Sensitive Spieltheorie auf den grundlegenden Erkenntnissen der Traumatheorie von Walter Alfred Siebel auf.